Polyneuropathie durch Chemotherapeutika
Die Polyneuropathie ist unter der Verwendung von Chemotherapeutika eine häufige Nebenwirkung. Häufig treten sensorische Ausfälle in Erscheinung, wobei sich diese in Form von Koordinationsstörungen, Gleichgewichtsproblemen und neuropathischen Schmerzen zeigen. Je nach Chemotherapeutika können die Beschwerden unterschiedlich schwer ausfallen. Beispielsweise ist bekannt, dass bei einer erstmaligen Gabe vom Platinderivat Oxaliplatin eine akute Neurotoxizität auftreten kann. Wiederum kann es bei Cisplatin zu einem Gleichbleiben bzw. zu einer Verschlechterung der Polyneuropathie nach Beendigung der Chemotherapie kommen.
Platinderivate
Zu den Derivaten zählen Cisplatin, Oxaliplatin oder Carboplatin. Neben anfänglichen Missempfindungen kann es zu ausgeprägten Koordinationsstörungen bis hin zu Ataxie kommen. Bei Oxaliplatin kommt es häufig zu Kälte-Missempfindungen sowie Mund-, Rachen- und Armkrämpfen. Unter Oxaliplatin tritt sehr häufig, unter Cisplatin und Carboplatin häufig eine Polyneuropathie auf. Bei Cisplatin und Carboplatin behalten ca. 30-50 % der Patienten bleibende Beschwerden. Bei Oxaliplatin kommt es in den ersten drei Monaten meist zu einer Besserung der Beschwerden.
Taxane
Zu den Taxanen gehören u.a. Paclitaxel und Docetaxel. Paclitaxel wurde anfänglich aus einem pazifischen Baum (Taxus brevifolia) gewonnen, Docetaxel aus Nadeln eines europäischen Baumes (Taxus baccata). Diese werden allein oder in Kombination verabreicht. Meist sind Füße und Hände betroffen, wobei die Kraft in der Regel nicht vermindert ist. Zudem ist bekannt, dass unter Taxanen auch häufig Myalgien auftreten. Unter Paclitaxel tritt häufig, unter Docetaxel seltener eine Polyneuropathie auf. Bei Paclitaxel haben etwa 50 % der Betroffenen noch nach einem Jahr Beschwerden, bei Docetaxel kommt es meist nach dem Therapieende zu einer Besserung.
Vinca-Alkaloide
Zu den Alkaloiden gehören Vincristin und Vinblastin. Diese wurden ursprünglich von einer Pflanze aus Madagaskar (Catharanthus roseus) gewonnen. Sie werden vorrangig in der Behandlung von Leukämie und Lymphomen eingesetzt. Neben Sensibilitätsstörungen können auch Krämpfe, Muskelschwäche, niedriger Blutdruck und Verstopfung auftreten. Hat bereits vor der Anwendung von Vinca-Alkakoiden eine Polyneuropathie bestanden, ist meist mit einer spürbaren Verschlechterung unter der Behandlung zu rechnen. Unter Vincristin tritt fast immer, unter Vinblastin seltener eine Polyneuropathie auf. Bei den Vinca-Alkaloiden kommt es meist nach etwa drei Monaten zu einer Verbesserung der Beschwerden.
Bortezomib
Das Medikament wird in der Regel zur Behandlung des multiplen Myeloms eingesetzt. Warum es hierunter zu einer Polyneuropathie kommt ist bisher nicht vollständig geklärt. Bei diesem Medikament stehen vor allem brennende und stechende Muskel- und Nervenschmerzen sowie Temperaturempfindungsstörungen. In diesem Falle spricht man auch von einer Small-Fiber-Neuropathie (SFN). Unter Bortezomib tritt häufig eine Polyneuropathie auf. Die Beschwerden bessern sich meist innerhalb von drei Monaten, können jedoch auch bleiben.
Thalidomid
Dieses Medikament wird vor allem zur Behandlung des multiplen Myeloms genutzt. In den 50er Jahren wurde es als Schlaf- und Beruhigungsmittel (Contergan®) eingesetzt, jedoch aufgrund hochgradiger Nebenwirkungen vom Markt genommen. Unter Thalidomid tritt häufig eine Polyneuropathie auf. Die Beschwerden können mehr als ein Jahr andauern und auch bleiben.
Individualisierte Dosisanpassung
Bei der Anwendung von Chemotherapeutika ist bekannt, dass eine bestimmte Dosisüberschreitung zur Ausbildung von Polyneuropathie führt. Dies wird auch als kumulative Dosis bezeichnet. Bei Cisplatin liegt diese bei 400 mg/m2, bei Carboplatin bei 600 mg/m2, bei Oxaliplatin bei mehr als 300 mg/m2, bei Vincristin bei 5-15 mg, bei Docetaxel bei 400-600 mg/m2, bei Paclitaxel bei 200 mg/m2, bei Bortezomib bei 1-1,3 mg/m2 und bei Thalomid bei mehr als 20 g. Die Dosis wird anhand der Körperoberfläche berechnet. Diese setzt sich aus der Körpergröße und dem Körpergewicht zusammen.
Betroffene zeigen unterschiedliche genetische Dispositionen. Dies bedeutet, dass einige Menschen Medikamente schneller bzw. auch langsamer abbauen. Werden Medikamente schneller verstoffwechselt, kommt es unter Umständen zu einer geringeren Wirkung von Chemotherapeutika. In diesen Fällen ist es möglich, dass Tumore nicht ausreichend „bekämpft“ werden können.
Werden Medikamente langsamer verstoffwechselt, können sich Medikamente vermehrt im Gewebe anreichern und zu schweren und teils lebensbedrohlichen Nebenwirkungen bzw. auch zu einem höheren Risiko für Polyneuropathie führen.
Jeder Mensch ist anders
Ein Beispiel ist Paclitaxel. Bei dieser Untersuchung wird eine CYP2C8-Genanalyse durchgeführt. Das Durchführen von Genanalysen ist nur Ärzten vorbehalten. Dieses Enzym (CYP2C8) ist an der Verstoffwechselung von Paclitaxel und anderen Medikamenten wie Statinen (Cholesterinsenker) und Schmerzmitteln (Ibuprofen, Diclofenac, Paracetamol) beteiligt. Kommt es zu einer Genvariation, kann die Umsatzrate (Verarbeitung des Wirkstoffes Paclitaxel) um etwa 15 % reduziert sein.
Etwa 15 % der europäischen Bevölkerung sind von der Genvariation betroffen. Die Bestimmung erfolgt über das Blut beim behandelnden Arzt bzw. Onkologen. Einige Krankenkassen übernehmen die Kosten.
Neben der Bestimmung möglicher Genvariationen ist es wichtig, in regelmäßigen Abständen die Plasmaspiegel verabreichter Medikamente zu überprüfen. Hierdurch ist es möglich, einem hohen Medikamentenspiegel entgegenzuwirken.
Weiterhin spielt auch die Nierenfunktion eine wichtige Rolle. Leidet der Patient bereits vor einer Chemotherapie an einer beginnenden Niereninsuffizienz, ist dies ein Hinweis auf eine mangelnde Elimination der Wirkstoffe. Deshalb sollte vor Einsatz einer Chemotherapie auch immer die Nierenfunktion überprüft werden.
Quellen
(1) Vass A, Grisold W (2009). Journal für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie, 10 (2), 44-47, https://www.kup.at/kup/pdf/8003.pdf
(2) IMD Labor Potsdam (abgerufen Febr 25). https://www.imd-potsdam.de/fachinformationen/diagnostikinformationen/200-299/292-individuelle-dosisanpassung-haeufig-verwendeter-chemotherapeutika-ergaenzende-pharmakogenetische-diagnostik
(3) Jaehde U, Kloft Ch. (2006). Zytostatika maßgeschneidert dosieren Dosis-Individualisierung in der Krebs-Chemotherapie, https://www.klinische-pharmazie.uni-bonn.de/de/pdfs-und-dateien-zum-download/forschung/pdfs/dosis-individualisierung-in-der-krebs-chemotherapie.pdf
(4) Rodríguez-Antona (2010). Pharmacogenomics 11:621, Gréen et al. 2009, Basic Clin Pharmacol Toxicol 104:130 / Spratlin et al. 2007, Crit Rev Onc (Haem 61:222, Dai et al. 2001, Pharmacogenetics 11:597
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