Polyneuropathie durch Antibiotika?

Polyneuropathie durch Antibiotika?

Polyneuropathie ist eine sehr komplexe Erkrankung. In etwa 20-30 % der Fälle wird keine Ursache gefunden. Hier spricht man dann von einer chronischen ideopathischen Polyneuropathie.

Manchmal können sich hinter diesen ideopathischen Erkrankungen auch schon bereits stattgefundene Ereignisse verbergen, an welche sich der Patient vielleicht gar nicht erinnert. Meist kann dies passieren, wenn durch die Patienten kein ersichtlicher Zusammenhang zwischen ihrer Polyneuropathie und möglichen Ereignissen steht.

Werden die Patienten in einer ärztlichen Anamnese nicht explizit auf Ereignisse angesprochen, kann es dann infolge zur Diagnose „ideopathische Polyneuropathie“ kommen.

Eine dieser Ereignisse ist die Einnahme von Antibiotika. In Deutschland wurden im Jahre 2020 insgesamt etwa 127 Millionen Tagesdosen an Beta-Laktam-Antibiotika wie Penicillin verschrieben. 2019 lag die Zahl noch bei 169 Millionen Tagesdosen. Für die Fluorchinolone lag die Menge 2019 bei 13 und 2020 bei 12 Millionen Tagesdosen (1). Zum Vergleich: In der Tiermedizin wurden 2022 etwa 228 Tonnen Penicillin eingesetzt, 2021 lag die gesamte Antibiotika-Menge in der Tiermast bei etwa 600 Tonnen. Umgerechnet lag der Einsatz von Antibiotika in der Humanmedizin im Jahre 2015 bei etwa 300 Tonnen.

Fluorchinolone

Zu einen dieser Antibiotika zählen die sogenannten Fluorchinolone. Diese werden grundsätzlich in zwei Gruppen unterteilt. Die erste Gruppe beinhaltet Norfloxacin wie Zoroxin®, Norfluxx®, Barazan®, Bactracid®, welches häufig bei unkomplizierten Harnwegsinfekten eingesetzt wird.

Zur zweiten Gruppen gehören z.B. Ciprofloxacin wie Ciprobay®, Keciflox®, Gyracip® oder auch Oflaxacin wie Floxal Augentropfen®, Gyroflox® als Breitbandantibiotikum. In die dritte Gruppe gehört Levofloxacin wie Tavanic®, welches bei schweren Atemwegs- und Harninfekten eingesetzt wird.

In der vierten Gruppe befindet sich Moxifloxacin wie Octegra®, Vigamox®, Avalox® oder Avelox®, welches ähnliche Indikationen wie Levofloxacin aufweist.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte wies 2019 in einem Schreiben auf die Problematik dieser Antibiotika hin (2, 3).

In diesem Schreiben wird darauf hingewiesen, dass dauerhafte Schäden an Nerven, Muskeln und Gelenken auftreten können. Diese können bereits nach einer einmaligen Gabe entstehen und schon während der Behandlung oder auch einige Wochen und Monate später, unabhängig einer oralen oder intravenösen Gabe. Weiterhin wird betont, dass die entstandenen Schäden sogar irreversible d.h. unumkehrbar sein können.

Als schwere Nebenwirkungen werden aufgezählt:

  • Entzündungen und Risse der Sehnen
  • Muskel- und Gelenkschmerzen
  • Gelenkschwellungen
  • Gangprobleme
  • Kribbeln
  • brennende und nadelstichähnliche Schmerzen
  • Müdigkeit
  • Depressionen
  • Gedächtnisstörungen
  • Schlafstörungen
  • Hör- und Sehprobleme
  • gestörter Geschmacks- oder Geruchssinn

Linezolid

Zu einem weiteren Antibiotika mit Nebenwirkung Polyneuropathie zählt Linezolid z.B. Zyvoxid®. Linezolid wird bei nosokomialen (im Krankenhaus erworbene) sowie ambulant erworbenen Lungenentzündungen sowie schweren Haut- und Weichteilinfektionen eingesetzt. Neben Kopfschmerzen, Übelkeit, Durchfall und Erbrechen kann es auch zu schweren Nervenschäden der peripheren Nerven sowie des Sehnervs Nervus opticus kommen (hier vor allem, wenn es lokal als Salbe angewandt wird). Weiterhin kann es im Extremfall zu Erblindung führen (4).

Nitrofurantoin

Außerdem kann hier das Antibiotikum Nitrofurantoin genannt werden. Es wird vorrangig bei unkomplizierten Harnwegsinfekten eingesetzt. Zu den sehr häufigen Nebenwirkungen zählen Schwindel, Ataxie, Nystagmus und allergische Reaktionen. Weiterhin sind hämolytische (Auflösung roter Blutkörperchen) Anämien sowie eine Leber- und Lungentoxität bekannt. Neben einer Lungenfibrose kann auch eine schwere sensible und motorische Polyneuropathie die Folge sein (5).

Metronidazol

Als weiteres Antibiotikum ist hier noch das Metronidazol zu nennen. Handelsnamen sind z.B. Clont®, Arilin®, Metrogel® oder Anaerobex®. Metronidazol kann topisch d.h. auf der Haut, als Augentropfen und als orale Einnahme Anwendung finden. Die Einsatzgebiete umfassen Vaginalinfektionen (Trichomonaden), Darminfektionen (Giardia lamblia), Rosacea oder auch infektionsbedingte Akne. Nebenwirkungen sind z.B. Durchfall, Ataxie, Kopfschmerz, Muskelschwäche, Mundentzündungen, starker Juckreiz und Polyneuropathie, wobei das Risiko für Nervenschäden bei bis zu 85 % liegt (6)! Bei der Einnahme von Metronidazol sollte darauf geachtet werden, dass zeitgleich kein 5-Fluorouacil (Zytostatikum) verabreicht wird. Die Wirkung des toxischen Zytostatikums wird hierdurch verstärkt.

Dapson

Als letztes Mittel soll hier noch Dapson (Diaminodiphenylsulfon, auch unter dem Handelsnamen Dapson-Fatol® bekannt) genannt werden. Dapson ist ein Antirheumatikum mit antibiotischer Wirkung. Meist wird es bei speziellen Hauterkrankungen sowie bei Rheuma eingesetzt. Da Dapson eine starke Resistenzentwicklung zeigt, wird es meist mit anderen Antibiotika kombiniert. Neben Magenbeschwerden können auch Kopfschmerzen und starke Überempfindlichkeiten auftreten. Dapson löst vorwiegend eine motorische Polyneuropathie aus (7).


Fazit

Es gibt neben etlichen anderen Medikamenten auch Antibiotika, welche eine Polyneuropahtie begünstigen bzw. auslösen können. Hierzu zählen neben Fluorchinolonen auch Linezolid, Nitrofurantoin, Metronidazol und Dapson. Diese können neben sensiblen auch motorische Ausfälle zur Folge haben.

Eine Polyneuropathie kann bereits nach einer einmaligen Gabe bzw. nach längeren Gaben auftreten. Zudem sind die Dosierungen und auch die Länge der Einnahme entscheidend. Weiterhin spielen folgende Faktoren eine entscheidende Rolle:

  • Alter des Patienten
  • Vorerkrankungen
  • weitere eingenommene Medikamente
  • Leber- und Nierenerkrankungen

Bei Einnahme der Antibiotika kann es passieren, dass teilweise irreversible Nervenschäden auftreten. Das heißt, dass die Nervenschäden unter Umständen ein Leben lang bestehen bleiben und sich nur geringfügig bis gar nicht bessern.

Treten unter den oben genannten Antibiotika Kribbeln, Taubheit oder Parästhesien beim Patienten auf, so sollte dieser umgehend den behandelnden Arzt darüber informieren.




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Quellen

1) Statista (Jan 2024). https://de.statista.com/statistik/daten/studie/371902/umfrage/menge-verordneter-antibiotika-in-deutschland-nach-den-wichtigsten-substanzgruppen/

2) Deutsches Ärzteblatt (Jan 2024). https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/55537/Dauerhafte-Nervenschaeden-durch-Fluorochinolone

3) Bfarm (Jan 2024). https://www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/DE/RV_STP/a-f/fluorchinolone-bewegungsapparat.html

4) Deutsche Apotheker-Zeitung (Jan 2024). https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2012/05/23/aerzte-warnen-vor-augenschaeden-durch-antiinfektiva

5) Gelbe Liste (Jan 2024). https://www.gelbe-liste.de/wirkstoffe/Nitrofurantoin_1616

6) Pharmazeutische Zeitung (Jan 2024). https://www.pharmazeutische-zeitung.de/laestig-quaelend-oder-alarmierend-138880/seite/5/?cHash=991146f64780f8d7a4f1c3206012eb2a

7) Gelbe Liste (Jan 2024). https://www.gelbe-liste.de/produkte/DAPSON-Fatol-50-mg-Tabletten_7046


Wichtiger Hinweis

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